21.09.2014

Sperbergrasmücke - Erstnachweis für das Saarland!

Hallo zusammen!

Aus aktuellem Anlass gibt es einen kurzen Vorabbericht der Herbstzugberingung:

Am gestrigen Samstag gelang unserem Team gegen 11:00 Uhr der Fang einer Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria) im IKEA-Biotop. Dies ist der erste Nachweis dieser Art überhaupt im Saarland!


Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria), der am 20.09. beringte Jungvogel


Für das IKEA-Biotop ist dies die 172. nachgewiesene Art und die 111. Art, welche von uns beringt werden konnte.


Nach 6 Jahren endlich drin!

Sperbergrasmücke, Schwanzzeichnung
Bereits seit Beginn der Arbeit an der Station "Mittleres Saartal" im Jahr 2008 war diese Art stets als mögliche Ausnahmeerscheinung gehandelt worden, zumal es bereits Nachweise aus dem Nachbarland Luxemburg gibt, die ebenfalls alle durch Beringung erzielt wurden.

Es war für uns mit dem Start der intensiven und systematischen Beringungstätigkeit eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis wir "sie" endlich haben. Nun ist es nach mehr als fünf Jahren endlich gelungen.

Der gestern erzielte Fang ist nur aufgrund der langjährigen Arbeit vieler Menschen vor Ort gelungen, die in rein ehrenamtlicher Tätigkeit ihre Freizeit und Arbeitskraft eingesetzt haben, um diese biologische Langzeitstudie am Leben zu erhalten!


Ohne Beringung keine Chance auf Nachweis!

Hier war sie drin! Fangstandort der Sperbergrasmücke mit
Brombeergebüschen und Feldgehölzen am Rand des Biotops
Nicht, dass wir unseren Ornithologenkollegen ihre Kompetenz absprechen möchten, doch Nachweise wie dieser sind ohne die Beringung nur schwer realisierbar. Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen: In fünf Jahren systematischer Arbeit, mit 500 Fangtagen und insgesamt mehr als 50.000 Vögeln wurde gerade mal eine einzige Sperbergrasmücke gefangen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Sperbergrasmücken auf dem Zug nicht unbedingt auffallen: Meist sind sie in dichten Hecken anzutreffen und verhalten sich (bis auf Warnrufe) äußerst heimlich. Man kann den Vogel also - wenn er sich denn einmal irgendwo aufhält - auch nur schwer feststellen. Und damit ist er nicht alleine! Zahlreiche - auch häufigere - Arten werden im Saarland fast nur durch die systematische Beringung erfasst, so z.B. der Rohrschwirl (Locustella luscinioides) und der Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus).


...und was genau führt sie ins Saarland?

Sperbergrasmücke, Kopfansicht. Die sehr helle Augenfarbe
ist eigentlich untypisch für Jungvögel, vermutlich ist dieses
Exemplar in seiner Entwicklung schon fortgeschrittener.
Die Sperbergrasmücke brütet in Deutschland nur in Ostdeutschland, ihr Verbreitungsgebiet umfasst ziemlich genau den Bereich der neuen Bundesländer. Wo sie dort vorkommt, ist sie mäßig häufig, also bei weitem kein "Allerweltsvogel". Die Sperbergrasmücken machen sich ab August auf den Weg in ihr Winterquartier, ihre Zugstrecke führt sie für gewöhnlich über Südosteuropa und die Arabische Halbinsel ins östliche Afrika. Im Frühjahr wird die gleiche Route in umgekehrter Richtung dann wieder genutzt, um in die Brutgebiete zurückzukehren. Das Saarland sollte also eigentlich nicht von dieser Art überflogen werden. Warum also kommt es doch immer wieder zu einzelnen Feststellungen der Sperbergrasmücke westlich ihres gewohnten Verbreitungsraums?

Sperbergrasmücke, Verbreitung 2014
Der rote Punkt im Saarland kennzeichnet unseren
Fang und ist weit und breit der einzige Nachweis
Quelle: ornitho.de
Eine mögliche Hypothese ist das Phänomen des "Spiegelzugs". Bei den meisten Kleinvogelarten wird das Zugverhalten und die Zugroute nicht von den Eltern oder anderen Altvögeln erlernt, sondern ist in der Genetik der Art verankert. Durch Veränderungen der genetischen Veranlagungen ist ein Abweichen von der gewohnten Zugroute bis hin zu einer vollständigen Umkehr der Zugrichtung denkbar - aus Ost wird West. Jedes Jahr tauchen selbst Sibirische Brutvögel in Mitteleuropa auf, die normalerweise Richtung Südosten ziehen sollten. Auch Sperbergrasmücken machen hier keine Ausnahme; zurzeit findet vor allem im Bereich der Nordseeinseln auch ein kleiner Einflug dieser Art statt (vgl. Verbreitungskarte). Die so auftretenden Vögel sind fast ausschließlich Jungvögel und leider werden diese mit größter Wahrscheinlichkeit den ersten Wegzug auch nicht überleben, da entlang der falschen Route einfach die geeigneten Rast- und Überwinterungsgebiete fehlen.


Neue Ziele - neue Arten

Eine neue Art für die saarländische Artenliste bedeutet auch unweigerlich die Frage, was denn eigentlich noch hierzulande nachgewiesen werden könnte. Hier ein paar der heißesten Kandidaten:
  • Kleines Sumpfhuhn (Porzana parva) bzw. Zwergsumpfhuhn (Porzana pusilla) - beides Brutvögel in Deutschland, aber nicht im Saarland. Ihre Lebensweise in Feuchtgebieten ist sehr zurückgezogen, sie sind abgesehen von ihren Rufen nur schwer nachweisbar. Doch eben diese Rufe äußern beide Arten nur im Brutgebiet. Auf dem Durchzug, welcher sie mit Sicherheit auch über das Saarland führt, ist man auf Zufallsbeobachtungen (oder eben Zufallsfänge) beschränkt. Für beide Arten ist das Saarland noch ein weißer Fleck auf der Landkarte, in den Nachbarregionen gibt es bereits fast überall Nachweise. Als eines der wichtigsten Feuchtgebiete des Saarlands ist das IKEA-Biotop praktisch prädestiniert.
  • Gelbbrauen-Laubsänger (Phylloscopus inornatus) - Brutvogel im Norden Russlands bis Sibirien, der zwar eigentlich in Südostasien überwintert, aber alljährlich nach Mitteleuropa einfliegt. Auch hier gibt es bereits Nachweise aus Luxemburg und Westdeutschland.
  • Mariskenrohrsänger (Acrocephalus melanopogon) - Brutvogel in Südeuropa bis Österreich, die nördlichen Brutvögel ziehen im Winter nach Südeuropa und kommen im Frühjahr wieder zurück. Dabei schießen einige Exemplare je nach Witterung auch "über das Ziel hinaus" und werden in Deutschland gesichtet bzw. auch gefangen, wie z.B. in diesem Jahr in einem Beringungsprojekt am Eich-Gimbsheimer Altrhein nahe Worms.
Neben diesen Arten können auch vollkommen unwahrscheinliche Arten auftreten, so geschehen zum Beispiel in Luxemburg, wo 2012 gleich zwei Feldrohrsänger (Acrocephalus agricola) auftauchten - weit und breit die einzigen Vertreter der von Zentralasien bis Osteuropa brütenden Art. Und das ist nur eines von vielen Beispielen für extremste Raritäten.

So oder so, wir hoffen, dass wir nicht wieder fünf Jahre auf den nächsten Erstnachweis warten müssen! Jetzt geht jedenfalls der Herbstzug weiter und ein guter Teil der durchziehenden Vögel steht noch aus. Da ist noch einiges drin!

Im Namen des gesamten Beringungsteams,
Sebastian Kiepsch

1 Kommentar:

  1. Glückwunsch zum Erstnachweis UND zum schön geschriebenen Artikel. Mich hat die helle Iris auch irritiert, zumal in ornitho ein Foto eines Jungvogels aus dem gleichen Zeitraum mit ganz dunkler Iris veröffentlicht ist. Also doppeltes Phänomen!
    Grüße an das ganze Beringerteam
    Martin Buchheit

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